Die Corona-Pandemie bestimmt weiterhin das aktuelle Leben im politischen Berlin. Ich habe im letzten Newsletter darüber berichtet, dass wir verfassungsfeste Rechtsgrundlagen für die derzeit laufenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens benötigen. Bislang war die Basis hierfür der Paragraph 28 des Infektionsschutzgesetzes, der aber sehr vage formuliert ist. Erste Gerichtsurteile haben die Bestimmtheit dieser Rechtsgrundlage bereits in Zweifel gezogen.
Es war daher dringend notwendig, eine Konkretisierung vorzunehmen. Diese Konkretisierung haben wir mit dem neu eingefügten Paragraph 28 a geschaffen. Die beiden Normen stecken nun einen neuen Rahmen für die von den Bundesländern zu erlassenden Verordnungen ab. Sie enthalten dabei eine Auflistung konkreter Maßnahmen, die die Länder zur Pandemie-Bekämpfung ergreifen können.
Am 18. November erfolgte die Debatte im Bundestag hierzu. Dieser Tag war eine Zäsur in der deutschen Demokratie. Erstmalig wurden frei gewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages in den Räumlichkeiten des Reichstages bedrängt, beleidigt und genötigt. Es waren Provokateure, die mit eindeutiger Intention von AfD-Abgeordneten in die gesicherten Räumlichkeiten des Reichstages eingeschleust wurden. Abgeordnete und ihre Mitarbeiter sollten eingeschüchtert werden, damit sie nicht für die Rechtsänderung stimmen.
Besonders schlimm agierte der bayrische AfD-Abgeordnete Johannes Huber. Er ging mit einer Kiste mit angeblichen Unterschriftenlisten zu den Büros diverser Abgeordneten und wollte diese am Abstimmungstag den Abgeordneten übergeben. Dazu redete er auf deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das Ganze ließ er filmen und ins Netz stellen.
Zuvor hatte er in einem Video „die lieben Mitbürger“ schon dazu aufgefordert, sich die Abgeordneten auf den Straßen im Umkreis des Reichstages zu „krallen“. Viele Abgeordnete haben ihre Büros in den Liegenschaften rund um den Reichstag und müssen den Weg ins Plenum zu Fuß zurücklegen. Da wirken solche Videos schon bedrohlich.
Hinzu kommt, dass AfD-Politiker dazu aufriefen, Abgeordnetenbüros lahmzulegen und sie mit Mails zu fluten. Insgesamt habe ich daraufhin etwa 4.000 Mails bekommen. Die allermeisten offenbarten ein verstörendes Weltbild. Von Corona-Diktatur und Pandemie-Lüge war in vielen die Rede und einige wollten mich vor Gericht stellen.
Die meisten waren an die „sehr geehrten Bundestagsabgeordneten“ adressiert, aber einige hundert auch an mich persönlich. Letztere habe ich in mühevoller Kleinarbeit alle beantwortet. Meine Antworten waren dabei immer freundlich und erklärend. Möge es nutzen.
Aber dennoch: Sich Abgeordnete zu „krallen“, sie zu bedrohen, einzuschüchtern und ihre Büros lahmzulegen – das sind Methoden, die an die letzten Tage der ersten deutschen Republik erinnern. Ich hatte das Gefühl, der Ludergeruch von Weimar zog durch die Hallen des Reichstages.
Die Koalition hat zwei Tage später in der aktuellen Stunde das Thema „Bedrängung von Abgeordneten verurteilen – die parlamentarische Demokratie schützen“ auf die Tagesordnung gesetzt. Der AfD-Vorsitzende Gauland entschuldigte sich zunächst wortreich für das Verhalten einzelner AfD-Abgeordneter. Danach meinte er aber, dass das Ganze nicht schlimm sei, da andere Fraktionen Ähnliches auch schon gemacht hätten. Ein typisches AfD-Verhalten: Zurückrudern, relativieren, von sich selbst ablenken und dann die anderen attackieren.
Richtig ist daran, dass Linke und Grüne in der Vergangenheit tatsächlich auch schon Besucher eingeschleust haben, die dann auf der Besuchertribüne Transparente oder Ähnliches hochhielten. Auch das wurde vom Bundestag mit massiven Sanktionen belegt, ist aber natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit den Einschüchterungsaktionen der AfD gegen einzelne Abgeordnete.
Voraussichtlich entscheidet der Verfassungsschutz in der kommenden Woche, ob er die AfD als Gesamtpartei überwachen will. Ich hoffe, dass die Ereignisse des 18.11. in die Entscheidungsfindung einfließen.
Der Vorsitzende Meuthen hat auf dem AfD-Parteitag am Wochenende eine Wutrede gegen den rechten und verschwörungstheoretischen „Flügel“ seiner Partei gehalten. Der Hintergrund hierfür dürfte sein, dass er eine Verfassungsschutzüberwachung mit allen Mitteln verhindern will. Die Reaktion von Gauland und Co. auf Meuthens Rede kam allerdings prompt. Es wurde ein Missbilligungsantrag gegen ihn gestellt, den er nur sehr knapp abwehren konnte.
Insgesamt kann man feststellen: Die AfD-Abgeordneten entpuppen sich als gelehrige Schüler Donald Trumps. Die Action, die Videos und die Tweets sind entscheidend. Je radikaler, desto besser.
Um am Ende auf Weimar zurückzukommen: Es gibt einen entscheidenden Unterschied zu heute. Unsere heutige Demokratie ist wehrhaft. Wir wissen sie zu verteidigen. Passenderweise hat die Bundesregierung am heutigen Mittwoch ein umfassendes Maßnahmenpaket mit 89 Einzelmaßnahmen für den Kampf gegen Rechtsextremismus beschlossen.
Wir wissen: Das Unglück kam in Deutschland immer von rechts.
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